Margarida Cordeiro: Eine visionäre Stimme des portugiesischen Kinos und ihre tiefen Bilderwelten

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Der Name Margarida Cordeiro steht für eine einzigartige Verbindung zwischen Kino, Philosophie, Psychiatrie und Poesie. Als Mitbegründerin des sogenannten „Cinema da Diferença“ (Kino der Differenz) hat sie das portugiesische Filmschaffen auf tiefgreifende Weise mitgeprägt – nicht durch kommerzielle Erfolge, sondern durch eine künstlerische Vision, die sich kompromisslos mit den Abgründen der menschlichen Psyche, mit Erinnerung, Identität und den Rändern der Gesellschaft auseinandersetzt. Gemeinsam mit ihrem Ehemann António Reis schuf sie in den 1970er- und 1980er-Jahren einige der stilistisch radikalsten und emotional intensivsten Filme, die das europäische Autorenkino hervorgebracht hat.

Ihr Werk ist nicht laut, nicht massentauglich und nicht leicht zugänglich. Doch es hinterlässt Spuren – bei jenen, die bereit sind, sich auf eine sinnliche, verlangsamte und zutiefst persönliche filmische Erfahrung einzulassen. Margarida Cordeiro steht sinnbildlich für ein Kino, das nicht nur erzählt, sondern spürt. Ein Kino, das nicht belehrt, sondern erfahrbar macht. Ihre Filme sind keine Produkte, sondern poetische Räume – und Cordeiro selbst ist weit mehr als nur Regisseurin oder Drehbuchautorin. Sie ist zugleich Denkerin, Beobachterin, Gestalterin und Grenzgängerin zwischen Wissenschaft und Kunst.

Herkunft, Ausbildung und der Weg zur Filmkunst

Geboren in Portugal und ursprünglich ausgebildet als Psychiaterin, brachte Margarida Cordeiro von Anfang an eine besondere Perspektive in die Welt des Films ein. Ihr medizinischer Hintergrund, insbesondere ihre Arbeit mit psychisch kranken Menschen, prägte ihr Verständnis für das menschliche Verhalten, für innere Konflikte, Traumata und das Unsichtbare im Sichtbaren. Diese Einflüsse durchziehen ihre Filme wie ein roter Faden – nicht im Sinne einer klinischen Analyse, sondern als tiefes empathisches Begreifen von Leid, Schweigen und Sehnsucht.

In den 1960er-Jahren lernte sie António Reis kennen, einen Lyriker, Fotografen und späteren Filmemacher, mit dem sie eine kreative und persönliche Partnerschaft einging. Gemeinsam begannen sie, an einem neuen Verständnis von Kino zu arbeiten – abseits von narrativen Konventionen, jenseits von linearen Erzählungen oder dramaturgischer Effekthascherei. Ihr Ziel war es, eine neue Filmsprache zu entwickeln, die das Unsagbare sichtbar macht, die nicht unterhält, sondern verwandelt.

Dabei war Margarida Cordeiro nie bloß Assistentin oder Co-Regisseurin, wie es lange fälschlich dargestellt wurde. Ihre kreative Handschrift ist gleichwertig, wenn nicht führend in vielen Aspekten der gemeinsamen Arbeiten. Vor allem in der Art und Weise, wie menschliche Körper, Gesichter und Bewegungen gefilmt werden, erkennt man ihre Intuition, ihre Aufmerksamkeit für Nuancen, für das Dazwischen und das, was sich nicht in Worte fassen lässt.
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Trás-os-Montes – ein filmisches Manifest

Der vielleicht bekannteste Film von Margarida Cordeiro und António Reis ist „Trás-os-Montes“ (1976) – ein essayistisches Meisterwerk, das bis heute als Meilenstein des portugiesischen Kinos gilt. Der Film entstand in einer abgelegenen Region im Nordosten Portugals, wo Zeit, Sprache und Lebensweise wie eingefroren scheinen. „Trás-os-Montes“ ist kein klassischer Dokumentarfilm und auch kein Spielfilm im herkömmlichen Sinn. Es ist ein poetischer Streifzug durch Landschaften, Erinnerungen, Kindheiten und Mythen, in dem Realität und Imagination ineinanderfließen.

Margarida Cordeiro beobachtet nicht nur die Menschen dieser Region – sie lässt sie ihre Geschichten selbst erzählen, eingebettet in eine visuelle Komposition von enormer Ruhe und Intensität. Kinder sitzen reglos vor der Kamera, alte Menschen erzählen in Symbolen, und dazwischen finden sich Szenen von großer archaischer Kraft – wie etwa das Ritual des Brotbackens oder die rituelle Jagd durch Wälder und Nebel.

Der Film verzichtet weitgehend auf Musik, auf erklärende Kommentare oder klassische Schnitte. Stattdessen entsteht ein Fluss aus Bildern und Klängen, der sich eher an der Struktur von Träumen als an dramaturgischen Modellen orientiert. Hier zeigt sich das wahre Wesen des musikalischen Hinterkopfs in der Filmkunst: Eine nichtlineare, rhythmisch-organische Struktur, die jenseits des Bewusstseins wirkt und dennoch präzise komponiert ist.

Ana – die Fortsetzung des poetischen Realismus

Nach dem Erfolg von „Trás-os-Montes“ folgte 1985 der Film „Ana“, der unter der alleinigen Regie von Margarida Cordeiro firmierte, wenngleich António Reis weiterhin als kreativer Partner beteiligt war. Dieser Film vertieft die künstlerische Sprache des Vorgängers und fokussiert sich stärker auf das Innere einer Figur – in diesem Fall auf die alte Frau Ana, die in einem abgelegenen Haus lebt und von Erinnerungen, Visionen und familiären Ritualen umgeben ist.

„Ana“ ist ein noch introspektiverer Film als „Trás-os-Montes“. Die Kamera verweilt lange auf Gesichtern, Händen, Räumen. Die Sprache ist reduziert, manchmal verschlüsselt, oft poetisch. Man spürt, wie sehr Margarida Cordeiro hier ihre psychiatrische Erfahrung mit einbringt – nicht, um zu analysieren, sondern um mit filmischen Mitteln Empfindungen darzustellen, die sich jeder klaren Diagnose entziehen. Ana ist keine Figur mit einer „Rolle“, sondern ein Mensch voller innerer Stimmen, Erinnerungen und innerer Bilder.

Auch dieser Film wurde von der internationalen Kritik gelobt, insbesondere auf Festivals in Frankreich, Italien und Spanien. Dennoch blieb er in Portugal lange Zeit ein Geheimtipp – zu fordernd, zu anders, zu „leise“ für den Mainstream. Heute jedoch gilt „Ana“ als eines der stärksten Werke feministischer Filmkunst in Europa – nicht weil es plakative Botschaften transportiert, sondern weil es die weibliche Erfahrung auf subtile, radikal poetische Weise in Szene setzt.

Die Philosophie des „Kinos der Differenz“

Margarida Cordeiro steht für ein Kino, das bewusst gegen Konventionen arbeitet. Ihr „Cinema da Diferença“ bricht mit linearer Logik, mit psychologischer Erklärung, mit technischen Standards. Stattdessen richtet sich der Blick auf das Unsichtbare, das Marginale, das Unausgesprochene. Ihre Filme sind geprägt von langsamer Zeit, von Pausen, von Stille. Sie vertrauen dem Bild, dem Körper, dem Klang – nicht der Handlung.

Diese Art des Sehens verlangt viel vom Publikum. Sie bietet keine einfachen Antworten, keine Pointen, keine klassische Katharsis. Aber sie belohnt mit einer Tiefe, die jenseits des rational Fassbaren liegt. In einer Welt, in der Filme immer schneller, lauter und spektakulärer werden, wirken die Werke von Margarida Cordeiro wie stille Meditationen über das Menschsein.

Auch das Politische spielt dabei eine Rolle – jedoch nicht als plakative Botschaft, sondern als stille Kritik am Vergessen, an der Entfremdung, an der Modernisierung ohne Seele. Ihre Filme geben jenen Menschen Raum, die oft nicht gehört werden – Alten, Kindern, Kranken, Frauen, Menschen vom Rand der Gesellschaft.

Leben abseits des Scheinwerferlichts

Trotz ihrer bedeutenden filmischen Leistung blieb Margarida Cordeiro zeitlebens eine zurückgezogene Persönlichkeit. Interviews mit ihr sind selten, öffentliche Auftritte noch seltener. Sie selbst scheint kein Interesse an Ruhm oder Prominenz zu haben. Vielmehr lebt sie zurückgezogen, widmet sich weiterhin der psychiatrischen Praxis, der Literatur und dem Schreiben. Ihre künstlerische Stimme war nie laut – aber dafür umso nachhaltiger.

Auch nach dem Tod von António Reis im Jahr 1991 hat sie keine neuen Filme mehr veröffentlicht. Dennoch ist ihr Einfluss weiterhin spürbar – in der Arbeit junger portugiesischer Filmemacherinnen, in der Anerkennung durch Festivals, Kuratoren und Filmwissenschaftlerinnen weltweit. Ihr Werk wird heute als Pionierleistung weiblicher Filmkunst, als Beispiel radikaler Ästhetik und als Ausdruck zutiefst humanistischer Weltsicht betrachtet.
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Internationale Rezeption und Wiederentdeckung

In den letzten Jahren erfährt das Werk von Margarida Cordeiro eine zunehmende internationale Wiederentdeckung. Ihre Filme werden digital restauriert, auf Festivals wie der Berlinale, in Cannes oder Locarno wieder gezeigt, und es entstehen neue Publikationen, die sich mit ihrer filmischen Sprache auseinandersetzen. Besonders im französischen, japanischen und lateinamerikanischen Raum wird sie als Vorreiterin eines poetischen, kontemplativen Kinos gefeiert.

Filmhochschulen weltweit analysieren heute ihre Bildsprache, und Künstlerinnen wie Apichatpong Weerasethakul oder Lucrecia Martel nennen sie als Inspiration. Auch in Portugal wächst das Bewusstsein für ihr Werk – nicht zuletzt dank der Bemühungen von Archiven und Filmhäusern, die ihre Filme neu zugänglich machen.

Fazit: Margarida Cordeiro und das poetische Gedächtnis des Kinos

Margarida Cordeiro ist mehr als eine Filmemacherin. Sie ist eine Grenzgängerin zwischen Medizin und Kunst, zwischen Rationalität und Poesie, zwischen Körper und Bild. Ihre Filme öffnen Räume, die keine einfachen Geschichten erzählen, sondern Seelenlandschaften erkunden. Sie zeigen, dass Kino nicht nur unterhalten, sondern transformieren kann – wenn man bereit ist, sich dem langsamen Sehen hinzugeben.

Ihr Werk bleibt zeitlos, gerade weil es sich der Zeit entzieht. Es fragt nicht nach Trends oder Publikumserwartungen, sondern nach dem, was Menschen verbindet: Erinnerungen, Stille, Berührung, Verlust, Sehnsucht. In einer Welt voller Ablenkung ist das Kino von Margarida Cordeiro eine Einladung zur Achtsamkeit – und zur Begegnung mit dem, was im tiefsten Inneren klingt.

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